Bärbels Weihnachten

DruckversionPer E.Mail verschickenPDF version

 

Es ist der heilige Weihnachtsabend. Da herrscht in der Stadt eine emsige, stille Geschäftigkeit in den Häusern und auf der Strassen: die Vorbotin der fröhlichen Bescherung. Man sieht Dienstboten eifrig dahertrippeln, die noch etwas Vergessenes oder spät Gefertigtes auf den Weihnachtstisch holen müssen, bunte Wachslichter oder Zckerwaren an den Christbaum; Schusterjungen tragen ein Paar glänzende, nagelneue Stiefel; der Sattler bringt das neubeschlagene Wiegenpferd, die Putzjungfer ein rosenrotes Hütchen, - alles noch zur Beherrlichung des Festes.

Oben in der grossen Stube, wo das Licht so verheissungsvoll durch die Gardinen schimmert, da waltet die Mutter als die Stellvertreterin des lieben Christkindes; sie ordnet und rüstet und bereitet, und die Kinder sitzen mit mühsam bezähmter Ungeduld in der Kinderstube, um auf den glücklichen Augenblick zu warten, wo der Ruf ertönt und ihnen der Lichtglanz entgegenströmt.

Auf dem Dorfe wird, in Schwaben wenigstens, der Christabend nicht so umständlich gefeiert: er gleicht dort mehr jener wunderbaren Nacht, wo in tiefer Stille im armen Stalle der Glanz der heiligen Weihnacht aufging, wo nur schlichte Hirten sich sammelten um die Krippe und hoch oben vom Himmel her der selige Festchor erklang.

Sobald es dunkel wird, werden Kunteln und Spinnräder, alles Arbeitsgerät beiseite gestellt; "Seid still, Kinder, 's ist der heilige Abend," ermahnt man die kleinen in jedem ordentlichen Haus; der Vater liest wohl in der Bibel oder man plaudert zusammen von alten Zeiten und geht bei guter Zeit zur Ruh.

Die einfache Bescherung macht den Müttern auf dem Dorfe wenig Sorge und Müh'. Ein Weihnachtsbaum wird meist nur den kleinsten Kindern angezündet; man beschert da in der Stille der Nacht, so dass die Kinder frühmorgens ihre kleinen Gaben am Bett finden und lauben, das Christkindlein habe sie gebracht, während sie schliefen: Ein paar äpfel und Nüsse, wenn's hoch kommt, ein Lebkuchenherz; nur wer so glücklich ist, einen wohlhabenden Paten oder eine reiche Patin zu haben, darf am Morgen des Weihnachtsfestes einen Besuch bei ihnen machen mit der Frage: "Guten Morgen Dote und Göderich, was hat's Christkind gebracht?" Gibt es dann ein Tellerchen mit Backwerk, ein Halstüchlein oder eine neue Weste, so ist das schon ein unerhörter Reichtum.