Weihnachtsfreude

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Die alte Frau war mit dem Kauf des Hofes übernommen worden. Sie hatte auf dem Altenteil gesessen, und als der Hof unter den Hammer kam, war sie "draufgeschlagen" worden, ohne dass man Einspruch erhob. Es hatte sich nicht gelohnt, darüber lange zu verhandeln. Ihr bisschen Essen fiel nicht ins Gewicht, und außerdem machte sie sich immer ein wenig nützlich, obgleich ihre Augen trübe waren und sie ihr Gedächtnis verloren hatte.

Gab man ihr Wolle, so strickte sie bis in den Abend hinein. Dass sie einen Teil der Wolle für sich selbst zurückhielt, machte nichts. Auch aus dieser Wolle wurden Strümpfe gestrickt, Weihnachtsgeschenke für Anders und Jakob, ihre Söhne. Aber Anders war schon gestorben und lag auf dem Friedhof, und Jakob, der Seemann, war seit Jahren einfach weggeblieben, wie es alten Leuten passieren kann, wenn sie keine Güter mehr für ihre Kinder anzubieten haben. Es waren dann übrigens Leute vom Hof, die diese für die Kinder gestrickten Strümpfe abtrugen.

Aber dass weder Anders noch Jakob von sich hören ließen, nicht einmal Weihnachten, das konnte die alte Frau nicht verstehen. Gut, Jakob war auf Fahrt und nicht sein eigener Herr - redete sie sich ein, aber dass Anders nicht kam, um die alte Mutter zu besuchen, das grämte sie. Das war bitter.

Er hat sicher einen Grund, der ihn hindert, tröstete die junge Bäuerin, die es gut meinte. Der Bauer, der gern Witze machte, lachte und sagte: "Drei Schaufeln Erde, das ist doch eine hinreichende Entschuldigung vor Gott und jeder Behörde!" Er spielte damit auf die drei Schaufeln Erde an, die der Pfarrer nach dem Begräbnisritus ins Grab warf. Die Alte, die kein Gedächtnis mehr hatte, verstand das nicht und so widmete sie sich in der Ofenecke der Wolle und den Stricknadeln ... denn wenn er nicht kommt, dann kann man eben nichts machen. Aber käme er, wollte sie auf alle Fälle vorbereitet sein. Und die Fürsorge für ihre Kinder war ihr so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie gar nicht anders konnte.

Sie strickte, und das Weihnachtsfest kam, aber kein Anders und kein Jakob. Das war bitter und schwer. Und ebenso bitter war es am nächsten und übernächsten Weihnachtsfest.

Aber dann kam er an einem Weihnachtsfest doch. Das heißt, Anders war es nicht und Jakob auch nicht - es war ein Fremder, ein Mann, der am Weihnachtsmorgen gerne eine Mahlzeit haben wollte, und der dachte, dass er sich auf dem Hof mit dem Nötigen versehen könnte. Ohne anzuklopfen trat er in die Küche und fand die alte Frau schlafend in der Ofenecke. Das machte ihn verlegen, denn er hatte gerechnet, dass um diese Zeit alle vom Hof in der Kirche sein würden. Er wollte an der Alten vorbei, ohne sie zu wecken, aber es glückte nicht. "Bist du es, Jakob?" fragte die alte Frau. Der Fremde antwortete: "M-m-ja! - Nein!" "Dann bist du es, Anders!" rief die Frau und breitete ihre Arme aus. "Ich habe es doch gewusst. Komm her, dass ich dich fühlen kann, Junge. Jesses, nicht einmal an Weihnachten bist du rasiert! Willst du in die Kirche gehen, Junge?"

Der Fremde antwortete: "Doch, ich möchte schon, aber ich muss zuerst essen, ich bin sehr hungrig." "Dem lässt sich abhelfen!" Die Alte erhob sich mühsam und stellte Wurst und Schinken, Brot und Branntwein auf den Tisch. Der Fremde redete wenig. Er aß und stopfte sich die Taschen voll mit allem, wessen er habhaft wurde. "Iss nur, mein Junge, es kommt alles von deiner Mutter!" Sie holte drei Paar Strümpfe hervor, blinzelte und sagte: "Du hast sicher kalte Füße, Anders?" Natürlich, und ob! Anders bekam alle drei Paare, obgleich das eine für Jakob bestimmt war. Sie sagte: "Weiß Gott, dein Bruder Jakob, dieser Bummelant, besucht mich nicht einmal Weihnachten. Du bist gekommen, aber er weiß nicht, an wen ich immer denke."

Da wurde der Fremde gerührt. Er dachte an die eigene Mutter, die sich um ihn gesorgt hatte. Dann holte er den kostbaren seidenen Schal der Bäuerin, der ihm in die Augen gefallen war. Als die Alte den teuren Stoff fühlte, machte sie eine abwehrende Bewegung, lief weg und verkroch sich wieder in der Ofenecke: "Jesses, so ein Unfug! Ein altes Weib soll keinen seidenen Schal tragen!" Er versicherte: "Ich schenke ihn dir!" Dann band er ihr den Schal um, küsste sie und verließ das Haus mit den Worten: "Jetzt muss ich in die Kirche gehen." Als die Leute vom Hof bald darauf aus der Kirche zurückkamen, saß die alte Frau wie immer in der Ofenecke. Sie zitterte und weinte vor Freude. Das seidene Halstuch der jungen Bäuerin war feucht von Tränen.

Und es gab eine Aufregung, denn ein paar hübsche Kleinigkeiten fehlten im Haus. Die alte Frau begriff nichts, aber sie versuchte zu begreifen, warum sie schimpften. Die junge Bäuerin wollte das Halstuch zurück. Aber sie wollte es nicht wieder hergeben und der Bauer musste es ihren krummen Fingern entwinden. Das machte ihr nichts, sie hatte es bald vergessen. Aber den Besuch des Sohnes behielt sie von Weihnachten bis zum Dreikönigstag. Dieser Besuch bedeutete für sie eine lange Weihnachtsfreude.